Gliome
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Übersicht
Gliome umfassen etwa ein Drittel der primären Hirntumoren. Männer sind etwa im Verhältnis von 1.5 zu 1 häufiger betroffen als Frauen. Primäre Hirntumoren und damit auch Gliome entstehen im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) aus ortsständigen Zellen. Diese Zellen und die Stoffe, die sie herstellen, bilden den Hauptbestandteil der Hirnmasse. Sie sind abzugrenzen von den eigentlichen Nervenzellen des Gehirns, den Neuronen, und tragen zu deren Versorgung bei. Man unterscheidet unter den normalen Hirnzellen Astrozyten, Oligodendrozyten und Ependymzellen. Je nach Zellart, aus der sich der Tumor mutmasslich entwickelt, unterscheidet man Astrozytome, Oligodendrogliome und Ependymome. Der häufigste bösartige primäre Hirntumor des Erwachsenenalters ist das Glioblastom, welches in die Gruppe der Astrozytome fällt und zugleich der Hirntumor mit der ungünstigsten Prognose ist. Der weit überwiegende Teil der Gliome tritt sporadisch auf, ohne eine gesicherte Ursache und ohne Vererbung innerhalb einer Familie. Selten können Gliome Folge einer vorangegangenen Strahlentherapie im Bereich des Nervensystems sein oder Ausdruck einer Erbkrankheit. Bei der erblichen Neurofibromatose vom Typ 2 findet sich eine Häufung pilozytischer Astrozytome. Weitere genetische Syndrome mit erhöhten Gliomerkrankungsrisiko sind tuberöse Sklerose und Li-Fraumeni-Syndrom. Auch Bestrahlung der Kopfregion in der Kindheit wurde mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko in Verbindung gebracht. Die Beschwerden hängen vom Ort des Tumorwachstums und der Wachstumsgeschwindigkeit ab. Wie bei anderen Hirntumoren sind auch bei Gliomen epileptische Anfälle und Hirndruckzeichen häufig. Je nach Tumorsitz können ausserdem Sehstörungen, Lähmungen oder eine Wesensveränderung auftreten. Befindet sich ein Tumor im Spinalkanal, so treten wegen des Platzmangels und der engen Lage der Nervenbahnen die Symptome meist früh auf.
Diagnose
Die Diagnose eines Glioms wird generell anhand von Gewebeuntersuchungen gestellt. Dabei greifen klassische Gewebemikroskopie und neuartige molekulare Untersuchungen ineinander. Die Weltgesundheitsorganisation (engl.: World Health Organization, abgekürzt WHO) hat für alle Hirntumoren und damit auch für Gliome eine Klassifikation eingeführt, die regelmässig aktualisiert wird, zuletzt 2021. Astrozytome und Oligodendrogliome sind Untergruppen der Gliome, denen Mutationen in den Isozitratdehydrogenase (IDH)-Genen 1 oder 2 gemeinsam sind. Innerhalb dieser Klassifikation werden die Gliome nach ihrer Bösartigkeit in unterschiedliche Grade eingeteilt. Mit ansteigendem WHO-Grad nimmt die Bösartigkeit und Aggressivität eines Tumors zu. Der WHO-Grad 1 entspricht einem an sich gutartigen Tumor, der prinzipiell heilbar ist, sofern die Lage des Tumors eine komplette operative Entfernung erlaubt. Bei den diffus infiltrierenden Astrozytomen teilt man die Tumoren in die WHO-Grade 2-4 ein, bei den Oligodendrogliomen in die WHO-Grade 2 und 3.
Therapie
Die Behandlung richtet sich nach der Diagnose und umfasst generell zunächst eine möglichst umfassende neurochirurgische Tumorentfernung. Dabei ist es aber auch das Ziel, neurologische Funktionsausfälle wie Lähmungen oder Sprachstörungen zu vermeiden, weshalb nicht immer alle in der Magnetresonanztomographie sichtbaren Tumoranteile entfernt werden können. Gliome des WHO-Grades 1 können jedoch meist vollständig entfernt werden. Für Gliome des WHO-Grad 2 wird häufig eine weiterführende Therapie empfohlen, meist eine Strahlentherapie über mehrere Wochen gefolgt von einer Chemotherapie über einige Monate. In einem Teil der PatientInnen kann aber auch zunächst beobachtet werden und erst im Fall eines erneuten Tumorwachstums die Behandlung mit Strahlen- und Chemotherapie fortgeführt werden. Gliome des WHO-Grad 3 und 4 werden im Anschluss an die Operation generell mit Strahlen- und Chemotherapie behandelt.
Verlauf und Prognose
Gliome des WHO-Grades 1 und ein Teil der Gliome des WHO-Grades 2 (Ependymome, pleomorphe Xanthoastrozytome) können durch die alleinige chirurgische Entfernung des Tumors geheilt werden. Andere Gliome des WHO-Grades 2 zeigen auch nach vollständiger Entfernung der in der Magnetresonanztomographie sichtbaren Tumoranteile erneutes Wachstum, wobei bis anhin viele Jahre vergehen können. Gliome des WHO-Grades 3 oder 4 weisen eine generell ungünstige Prognose mit mittleren Überlebenszeiten von wenigen Jahren (Grad 3) bis hin zu Monaten (Grad 4, Glioblastom). Die Prognose von Oligodendrogliomen ist insgesamt als günstiger anzusehen als die von Astrozytomen.
Weiterführende Informationen
Aktuelle Angaben zu den Häufigkeiten verschiedener Hirntumoren finden sich hier: www.cbtrus.org.
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